Giraffenkinder …

22.März 2019

Es ist kurz vor halb 7. Kurz bevor der Wecker klingelt wache ich auf. Raus aus dem Bett, Toilette, Duschen … Dann ins Kinderzimmer um die Lage zu sondieren. Meistens schlafen sie noch.

Das Zimmer ist dunkel. Ich mache eine kleine schummrige Lampe an. Von draussen sind die Kirchenglocken zu hören. Aus den Betten dringen erste Geräusche zu mir, die mich an kleine pelzige, flauschige Tiere erinnern. Sie sind noch schlaftrunken und mümmeln sich unter die Decke.

Mit einem aufmunterndem „Guten Morgen … Zeit zum Aufstehen … die Kirchenglocken läuten“ beginne ich …

Zuerst leise Proteste unter der Decke … alles weitere hängt dann von der Tagesform ab: Von „Bin noch müde“ über „Nur noch ein bisschen, Papa“ und „Ich möchte heute nicht in den Kindergarten“ bis zu „Ich gehe heute NICHT in den Kindergarten“ sind alle Stimmungslagen möglich.

An Tagen, an denen ihnen das Aufstehen besonders schwer fäll, kommt nach erstem Räkeln und Augen reiben verbunden mit leisem Maunzen die Aufforderung:

Papa …. Giraffe!

Was soviel heißt wie: Papa, mach bitte die Giraffe!

Wenn Giraffenkinder auf die Welt kommen, fallen sie zuerst aus einiger Höhe auf den Boden. Das Frischgeborene ist zu diesem Zeitpunkt noch schwach und liegt benommen auf dem Boden. Die Löwen lauern in der Nähe, bereit sich auf das wehrlose Bündel zu stürzen. Nun kommt es darauf an, dass das Kind schnell auf die Beine kommt, um mit seinen Eltern vor den Löwen wegrennen zu können. Die Mutter – in meiner Geschichte der Vater – beugt seinen langen Hals bis zu seinem Kind hinunter und beginnt es mit seiner harten Zunge abzutrocknen, so den Kreislauf in Schwung zu bringen und ihm so zu helfen aufzustehen. Ich verschränke hierzu meine Arme zu einem „Giraffenhals“ und fahre dann mit meinen Händen mit sanftem Druck, aber nicht grob in Schlangenlinien über den Rücken meiner Kinder. Ihre Augen öffnen sich, sie rappeln sich hoch und klettern aus dem Bett. Geschafft!

Den Giraffen sei Dank …

Das ist eine Erinnerung an die gemeinsame Zeit mit meinen Kindern. Als die Welt für sie noch in Ordnung war. Ich vermisse sie.

2 Kommentare zu „Giraffenkinder …

  1. Wow, diese Zeilen zu lesen war für mich eine intensive Erfahrung! Danke Dir fürs Teilen. Ich habe früher ähnliche Rituale mit meinen Kindern gepflegt. Heute begegnen mir diese Erinnerungen immer wieder, weil meine Kinder sie so tief abgespeichert haben, dass sie sich daran erinnern, weil sie eine Bedeutung haben. Und mir wird bewusst, wie wichtig das für uns beide und unsere Bindung war. Sie ist viel tiefer gehend als alles, was uns vordergründig an der Oberfläche des Bewusstseins beschäftigt und manchmal den Glauben daran verlieren lässt.

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    1. Danke für deine Reflexion darauf! Ich teile deine Sicht und vertraue und hoffe, dass es so ist und sie das tief drinnen abgespeichert haben. Auch wenn alles „oberflächlich“ erlebte bzw. nicht erlebte im Moment etwas anderes sagt. Zur Sicherheit und um die Zeit zu überstehen schreibe ich gegen das Vergessen und das vergessen werden.

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