Wir (L, M und ich) sind übers Pfingstwochenende nach Kryry in Tschechien gefahren. Dort wohnen ihre Eltern. Von dort aus wollen wir dann einen Kurztrip nach Prag unternehmen. Wir treffen dort und in Prag ihre alten Freunde, denen sie die großen Veränderungen in ihrem Leben (Trennung und neue Beziehung) persönlich erzählen möchte.
Der erste Abend ist sehr emotional. Wir sitzen bis spät abends im Nachbarort auf der Terrasse ihrer Freundin Hanna mit ihren erwachsenen Kindern. Zuerst „unser Thema“ bei dem schnell klar wird, dass nach der ersten Überraschung über die Trennung der langjährigen Beziehung ich von allen ohne wenn und aber herzlich aufgenommen werde. Schnell kommen wir dann zu anderen Themen, die in dieser Zeit für das Leben dieser tollen Familie eine Rolle spielen und für die Beteiligten zu großen Emotionen führen:
Das Architekturstudium vom 21-jährigen Vladi. Mit Vladi unterhalte ich mich halb auf Englisch halb auf Deutsch sehr nett über unseren Beruf im allgemeinen, mein Büro im speziellen und sein Studium. Er zeigt mir seine Studienarbeiten und Modelle. Ein sehr talentierter angehender Jungarchitekt.
Die am nächsten Tag bevorstehende Aufnahmeprüfung der 18-jährigen Theresa für die Karls-Universität in Prag.
Das Coming-Out von Theresa.
Dann kommt der „große“ Vladi nachhause, Familienoberhaupt, Papa und Werksleiter einer Firma für Spezialspiegel und Gläser .
Ihm steht nächste Woche eine große berufliche Veränderung bevor. Sein Werk wird geschlossen und er wird nach Deutschland (Furt im Wald) versetzt. Er, der schon einen feuchtfröhlichen Abend mit seinen Freunden hinter sich hat, erzählt von seinen Ängsten, aufgrund seiner unzureichenden Sprachkenntnisse. Auch er ist spontan sehr offen und freundschaftlich gegenüber mir.
Spätabends weit nach Mitternacht kommen wir nachhause und fallen nachdem L noch schnell ein heißes Bad genommen hat übermüdet ins Bett.
In dieser Nacht hatte ich zum ersten Mal seit langem, dafür aber umso heftiger von meiner Tochter geträumt. Insgesamt dreimal wachte ich mit Tränen in den Augen auf um dann wieder in den Schlaf zu fallen.
Ich hatte in den Träumen Papa-Tochter-Diskussionen mit ihr und ganz normale Begegnungen. Bis ich ihr erklären musste, dass ich sie seit September nicht mehr gesehen habe und deswegen traurig wäre.
Am Samstag fuhren wir nach Prag um Marcella zu treffen, eine der engsten Freundinnen von L. Bevor wir abfuhren kam Sonja die Oma von L zu Besuch. Sie ist 88 und kann gut deutsch sprechen. Wir begrüssten uns und wechselten ein paar Worte. Dann aßen wir noch gemeinsam zu Mittag. Es gab Kaninchenbraten, böhmische Klöße in Scheiben mit einer Soße aus Wurzelgemüse. Zum Reinlegen fein. Dann fuhren wir los.
Es war ein sonniger Tag und wir schlenderten durch die Straßen Prags. Wir schauten uns Lokale an die Lenka für den Betriebsausflug ihrer Praxis ausgekundschaftet hat. Dann wollten wir uns noch schnell die gebuchten Luxusappartements ansehen. Die haben wir dann nicht gesehen, stattdessen einen vermüllten Hinterhof, halb verfallen und mit Zugang zu einer nicht gerade vertrauenserweckenden Gynäkologischen Privatklinik. Es sah ganz so aus, daß Lenka einem Fakeangebot aufgesessen war. Das Telefonat mit der Agentur die diese Appartements vermietet hatte brachte nicht viel Licht ins Dunkel. In einem Café warteten wir dann auf Marcella und Tom. Es wurde ein sehr netter Abend. Wir fielen wieder erschöpft ins Bett …
Am nächsten Tag fuhren wir nach dem Frühstück und dem Auschecken mit dem Taxi zur Adresse der Appartements um ein paar „Beweisfotos“ zu machen … dann liessen wir die Seele baumeln und liefen zu Fuss durch die Stadt. Auf der Suche nach Eis landeten wir in einem zauberhaften Café in dem früher bekannte Persönlichkeiten ein und aus gingen.
Wir verweilten bei einem britischen Straßenmusiker, der „Look Back in Anger“ von Oasis trällerte. Ich wechselte ein paar Worte, dann spielte er für uns noch „Tender“ von Blur. Weiter gings zur Karlsbrücke.
Hier erstand ich zwei Bilder mit Abbildungen von der John-Lennon-Wall. Eins davon wollte ich meiner Tochter, das andere meinem Sohn schenken.
Es machte mich dann für einen Moment glücklich da ich kurz eine Verbindung spürte und im nächsten Moment gleich wieder traurig. Das Bewusstsein, dass meine Tochter dieses Geschenk ablehnen würde und vermutlich in die Ecke oder in den Müll pfeffern würde. Trotz ihres „Postkartenverbot“ und fast etwas trotzig kaufte ich dennoch zwei Postkarten, die ich bei unserer Rückankunft am Hotel und in jedem Fall aus Prag abschicken wollte.
Wir besuchten auf dem Rückweg zum Hotel, wo noch unser Auto stand, nach mehreren Versuchen endlich zwei passende Briefmarken. Wir besuchten eine tolle Galerie mit Designinterieur, aßen am Fluß kurz zu Mittag und waren dann wieder zurück am Hotel.
In dem kleinen Café beim Hotel schrieb ich schnell die Karten:
Hallo L., liebe Grüße aus Prag !!! Papa …
Mehr ging nicht …. „Postkartenverbot“ und seine Nachwirkungen. Meinem Sohn schrieb ich etwas zur astronomischen Uhr aus dem Jahr 1419 … ganz normal.